Staatssicherheit aufgelöst oder: das Operationsgebiet eingenommen?

 

"Nach langer Verzögerung der Antwort leugnet die Bundesregierung nun weitgehendst die skandalösen Vorgänge,

die mir während meiner USA-Reise unmißverständlich berichtet wurden: [...] daß die CIA derzeit mit tatkräftiger

Unterstützung bundesdeutscher Dienste ehemalige Stasi-Offiziere unter Vertrag nimmt."

Aus einer Presseerklärung der innenpolitischen Sprecherin von Bündniss90/Die Grünen vom 10.03.1992, Ingrid Köppe

Ergebniss einer bisher erst groben Analyse von Datenhinterlassenschaften

Manche Artikel basieren auf langen Geschichten. Bei anderen Artikeln ist es genau umgekehrt: Artikel verursachen lange Geschichten. Bei diesem Artikel ist die Geschichte evtl. in beide Richtungen gleich lang. Und zwar ziemlich.

Als die Deutsche Demokratische Republik (DDR) aufgelösst wurde, hat sie neben merkwürdigen Errinerungen auch noch - so glaubte man - einen der bestdokumentiertesten Geheimdienste der Welt hinterlassen. Die Gauck-Behörde, offziell "Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" verwaltet immerhin etliche Tonnen Akten und macht sie den betroffenen - Tätern wie Opfern - mit gewissen datenschutzrechtlichen Einschränkungen zugänglich. Geschichtsaufarbeitung sollte möglich werden.

Die Bürger der ehemaligen DDR schienen erreicht zu haben was sie wollten: das Ministerium für Staatssicherheit (die "Stasi") war aufgelöst, die DDR auch, ein paar leitende Funktionäre im Gefängniss und die DDR jetzt BRD. Und jetzt kommen wir zu den Schönheistfehlern dieser Operation.

Bei der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit wurden ja, wie das neudeutsch so schön heißt "einige Arbeitskräfte dem Markt freigestellt." Schon die Frage wieviele Mitarbeiter das Ministerium für Staatssicherheit denn hauptamtlich hatte, lässt sich leider nicht so einfach beantworten. Es gibt zwar einen Haufen Akten, und Personallisten, aber die Interpretationen dieses Materials gehen dann doch eher weit auseinander.

Nun war für die Bürger der ehemaligen DDR die Frage, wer denn nun früher für die Stasi gearbeitet hat oder nicht, schon eine Frage. Man wollte schließlich nicht mit den selben Genossen noch einmal die - vermeintlich neuen Staatsstrukturen aufbauen. Hilfreich war u.a. die "Liste der Hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS" die seit den frühen 90´er Jahren durch Publikationen der DDR-Bürgerbewegung verbreitet wurde. Sie enthält rund 100.000 Mitarbeiter bzw. Datensätze (genau: 97.058 plus minus ein paar) und gilt - präzise galt - als authentisch. Auch die juristischen Ausein- andersetzungen die die Verbreiter dieser Liste bekamen (Neues Forum wegen Abdruck, Niederspende.de wegen Verbreitung im Netz) sprachen zumindest dafür, daß die Liste echte Namen enthält.

Als die Bürgerbewegten die Daten in den frühen 90er Jahren mit dBase verarbeiten, waren die damals genutzten 386er eher an den Grenzen ihrer Belastung. Bei 100.000 Daten fielen komfortable Suchaktionen und Quervergleiche eher aus. Das ist zum Glück heute etwas anders.

Im Kontext eines Congresses in der ehemaligen Parteischule der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) der ehemaligen DDR kam neulich mal jemand vorbei und erzählt merkwürdige Geschichten: das ungefähr die Hälfte der Stasi-Mitarbeiter kurz vor der sogenannten Wiedervereinigung unter den Tisch gefallen sei. Zunächst war ein etwas toleranter Umgang mit dem Fassungsvermögen der eigenen Hirnstrukturen gefordert: die Mauscheleien zwischen Ost- und Westdiensten, die der junge Mann skizzierte waren zwar in sich schlüssig, entbehrten allerdings auch nicht einer gewissen Komplexität. Nachweise sollten folgen.

Ein Hinweis war, daß mit der erwähnten Mitarbeiterliste der Hauptamtlichen Mitarbeiter etwas nicht stimmte; bestimmte Geburtstage wurden in Ihnen fehlen. Und damit fängt die Geschichte an, auch wenn dieser Artikel nur eine erste Auflistung von Merkwürdigkeiten liefern kann.

Die Mitarbeiterliste der Hauptamtlichen Mitarbeiter ist im Netz verfügbar: mit dem Dateinamen ma_stasi.zip wird man z.B. fündig. Welche Version ihr allerdings im Netz findet, die von welcher Dienststelle welchen Geheimdienstes modifiziert wurde, kann ich euch nicht sagen. Als Orientierung kann http://cryptome.org/stasi-list.htm helfen.

Die Struktur dieser Datenbank bzw. Liste besteht aus:

Das PKZ ist das Identifikationskennzeichen für DDR-Bürger. Setzt sich zusammen aus Geburtsdatum (TTMMJJ), Geschlechtskennzeichen (4=m 5=w), 4 stelliger Ursprungskennziffer (erste Anmeldung) und einer Prüfziffer. Algorithmus liegt vor. Datenbank der Ursprungskennziffer ist derzeit noch in der Erstellung (schlecht lesbare Papiervorlage). Die Papiere gibt es in Kürze auf ftp://ftp.ccc.de/pub/infopool/mfs/

Der Einheitenschlüssel besteht aus 3 Gruppen á zwei Nummern, wird aber zusammengezogen interpretiert. Er gibt die Einheit des MFS an, bei dem der/diejenige gearbeitet hat. Strukturdatenbank ist auf ftp://ftp.ccc.de/pub/infopool/mfs/einheiten.dbf (bzw. .txt, .tab, .fm)

Die genaue Bedeutung des Gehaltsfeldes ist umstritten. Einige Behaupten, es handele sich hier um das Jahresgehalt. Andere sagen, es sei das Gehalt seit Frühjahr 1989. Dritte sagen was ganz anderes. Klar ist: die Liste enthält Gehaltszahlen aus denen sich möglicherweise ein Hierarchiestatus inter- pretieren lässt. Das kann Information oder Desinformation sein.

 

Zunächst sind wir also dem Hinweis auf Unregelmässigkeiten im Bezug auf die Geburtsdaten nachgegangen. In der Tat scheint es bei der Stasi gewisse Geburtsschwache Tage gegeben zu haben; unabhängig vom Geburtsjahr der jeweiligen finden sich weder am 17.03., 17.04., 17.05., 17.06., 17.07., 17.08. irgendwelche Einträge. Am 17.02. finden sich zwar 2 Einträge, allerdings sind beide aus dem Jahrgang 1927. Bei allem Verständniss für historische Aufarbeitung handelt es sich hier offensichtlich um Rentner.

Alle anderen Geburtstage scheinen in der Datenbank sehr gleichmässig verteilt zu sein. Bei einer groben Annahme (Sollwert) von 100.000 Einträgen, geteilt durch die Anzahl möglicher Geburtstage (365) wäre der mathematische Richtwert 273 Geburten pro Tag. In Unkenntnis etwaiger Geburtenschwachen Tagen bzw. Monaten handelt es sich bei den vorliegenden Zahlen entweder um eine erstaunlich primitiv frisierte Datenbase oder um eine relativ mittelwertgenaue Geburtsanhäufung.

Diese beiden Indikatoren (fehlende 17. und Mittelwert-Genauigkeit) können insofern nur bedingt als Indizen für eine Datenmanipulation gewertet werden. Für beide sind "natürliche" Erklärungen dankbar. Im Bezug auf die fehlenden Geburten an den 17. kann es sich um einen - immerhin 10 Jahr nicht bemerkten - Datenverlust bei der Konvertierung von Datenträgern schlechter Qualität handeln. Ein entsprechender Hinweis auf mögliche Datenträgerschäden liegt aus den Kreisen der konvertierenden Bürgerbewegten vor, konnte allerdings bis Redaktionsschluss noch nicht verifiziert werden. Ob der Indikator der "gleichmässigen" Verteilung (die Geburten pro Tag bewegen sich alle passgenau um den Mittelwert von 273) gewertet werden kann, kann ich mangels Hinweisen auf etwaige übliche ungleichmässigen Verteilungen nicht feststellen.

Wesentlich aufschlussreicher und als deutlichster Hinweis kann da schon der Abgleich der vorhandenen Datensätze der Hauptamtlichen Mitarbeiter mit dem Einheitenschlüssel gelten. Von den 2286 insgesamt vorhandenen Abteilungen der Staatssicherheit wären beispielsweise 1349 ohne einen einzigen Mitarbeiter. Diese Unterbesetzung ist wohl selbst bei großzügiger Lesart unrealistisch.

Noch deutlicher wird die Manipulation der HA-Datenbank allerdings, wenn man sich die Einheitenzuweisung im Detail anguckt. Als Beispiel für eine etwas detailliertere Analyse sei hier mal die Hauptabteilung III (Funkaufklärung) genommen. Unter dem "generellen" Einheitenschlüssel 940300 finden sich immerhin insgesamt 2312 Mitarbeiter. In den jeweiligen Diensteinheiten finden sich allerdings keine Mitarbeiter. Eine grobe Hierarchie ließe sich zwar aus den Gehaltszahlungen ableiten, aber keine Zuweisung zu den Diensteinheiten.

Diese Strukturverschleierung tritt bei allen Hauptabteilungen auf, in den Bezirksverwaltungen des MfS hingegen ist sie vorhanden. Wenn die Strukturverschleierung in der Datenbank eine grundsätzlich vom MfS betriebene wäre, würde sie wohl kaum die Bezirksverwaltungen außen vor lassen. Als Beispiel hierfür sei willkürlich Leipzig gewählt.

Hier allerdings liegen die Unterabteilungen offen; lediglich auf der Ebene der Leiter fehlen die Hinweise. Und dann gibt es noch Mitarbeiter in Abteilungen, wo nur die Abteilungsschlüssel vorliegen, allerdings nichts über die Abteilungen selbst bekannt ist.

Als Zusammenfassung dieser ersten groben Analyse muss man wohl feststellen, daß aufgrund dieser deutlichen Indikatoren für eine Manipulation der Datenbestände auch die anderen Abteilungszuweisungen nicht wirklich als verlässliche Werte angenommen werden können. In Zusammenhang mit verschiedenen Hinweisen auf den Zeitraum, der der Staatssicherheit für eine Strukturverschleierung bzw. partielle Verlagerung von Personalbeständen in andere Organisationen (Wirtschaftsunternehmen, staatliche geführte Unternehmungen etc.) zur Verfügung stand, könnnte man sich schon sorgen machen. Wenn man dann noch die Hinweise auf die Übernahme des kompletten Personalbestands einzelnder Abteilungen durch andere Dienste - z.B. amerikanische - hinzuzieht, kann man sich wahlweise in schlechter Laune oder Aufdeckung aktiver Strukturen üben.

Um eine gründlichere Analyse durchzuführen, gibt es zunächst verschiedene Gedankenspiele. Die meisten Forschungsanträge der Gauck-Behörde und verfügbare Literatur über die Aktivitäten des MfS betreffen beispielsweise eher Thematische als Strukturelle Belange. Eine systematische Struktur- analyse wäre also in den jeweiligen Bereichen ein möglicher Ansatz.

Weitere mögliche Herangehensweisen wären durch differenzierte Arbeitshypothesen denkbar. Wenn man beispielsweise die offensichtliche Datenmanipulation der Hauptamtlichen Liste zusammen mit den Rentenansprüchen ehemaliger HA´ler in die These der gewinnträchtigen Einführung von Personen mit mehreren Identitäten umwandelt, gäbe dies Anlass zur Überprüfung gewisser Geburtstage. Viel Spaß am Gerät.

Andy Müller-Maguhn, andy@ccc.de

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