Andy Müller-Maguhn, 16.10.2000

Regierungs erklärung

Also gut. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin nun also gebeten
worden, eine Regierungserklärung zu schreiben. Und zwar immerhin von einer
Zeitung, die, so heißt es, in Regierungskreisen gelesen wird.

Ich soll also eine Regierungserklärung schreiben. Dabei konnte ich
Regierungen noch nie leiden. Überhaupt gar nicht. Nur der Obacht meiner
Mutter können Sie es verdanken, daß ich, etwa im Alter von 11, nicht der
RAF beigetreten bin. Zugegeben, ich war noch ein wenig jung.

Aber die Terroristen waren mir irgendwie sympatisch. Bei der örtlichen
Polizeiwache hatte ich vorgesprochen und mir ein Fahndungsplakat besorgt.
Endlich mal Bilder von symphatischen Menschen, die die Krawattenträger
offenbar auch nicht leiden konnten. Irgendwie fand das meine Mutter nicht
ok, so ein Fahndungsplakat zwischen den Bildern von Pop-Bands der Neuen
Deutschen Welle. Und weg war es. Diesen Eingriff nehme ich ihr bis heute
ein wenig übel.

Später bin ich dann wohl irgendwie erwachsen geworden. Kritiker behaupten,
daß sei eben gerade nicht geschehen. Nun, urteilen müssen Sie schon selbst.
Jedenfalls bin ich jetzt gewählt worden, in die Weltregierung. Wie, das
glauben sie nicht? Deswegen schreibe ich ja diese Regierungserklärung.
Manche Regierungen muß man eben erklären. Oder sagen wir, manche mehr,
manche weniger.

Die Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen wird derzeit in einem
zunehmendem Umfang von Medieninhalten geprägt, die durch elektronische
Netze zugänglich sind. Das Internet ist nicht nur ein solches Netz,
basierend auf Protokollen, Standards, Adressierungen und Regeln. Es ist vor
allem ein Kulturraum, dessen Teilnehmer vom Prinzip her nicht festgelegt
sind, ob sie Sender oder Empfänger sind. So wird die Netz-Wirklichkeit von
den Nutzern gemacht.

ICANN regelt die Vergabe von Namen, Nummern, die Einführung der Protokolle
und erstellt die Regeln dafür - also die Architektur des Netzes. Oder eben,
die Regierung.

Da ich Ihnen ja hier die Regierung erklären soll, muß ich mich wohl auch
ein bisschen auf das in ihrem Kulturkreis geprägte Medienverständniss
einlassen. Die Generation der Regierenden ist ja dominant die, die mit dem
Röhrenradio großgeworden ist. Damals, als man noch klar trennen konnte, wo
die Sender und wo die Empfänger sind. Das nennt man Kanalmodell. Und das
ist vorbei. Heute bildet das Netz einen Kommunikationsraum. Das nennt man
das Netzmodell. Und jeder, der sich da anschließt, kann diesen Raum
betreten. Kann sich umgucken, kann sich etwas rausnehmen, kann etwas
hineingeben. Das nennen wir im Internet Geschenkkultur. Ein kleines
elektronisches Paradies. Wer hat da gerade Sozialromantik gesagt?

Lustige Dinge haben sich da entwickelt, in der Zeit, als im Netz der Netze
viele verschiedene Menschen im kunterbunten Austausch einen neuen globalen
Kulturraum erschaffen haben. Da gab es alles, weil der Planet groß ist, die
Außerirdischen unter uns sind und, nunja, weil die Juristen weit weg waren.
Die waren damals noch damit beschäftigt, Gesetze gegen Terroristen zu
machen und gigantische Sicherheitsapparate aufzubauen.

Heute ist das ein bisschen anders. Irgendwann war das zwar alles ganz
sicher da draussen, aber leider auch alles ein wenig festzementiert. Und da
die Menschen aber nicht alle festzementiert sein wollten, haben sie sich
einen neuen Freiraum geschaffen. Mit ohne Staaten, mit ohne Juristen,
einfach nur freier Informationsfluss, ein paar grobe Benimmregeln und
ansonsten macht einfach jeder, was er will. Rough Consensus and running
code.

Verstehen Sie, frisch zementierte Betongefängnisse in die Luft zu sprengen
war schon irgendwie okay, aber ins Internet zu ziehen einfach der
gründlichere Ansatz. Die Gedanken sind schließlich frei. Zugegeben, auch im
Kulturkreis der Internet-Nutzer hat ein paar Leuten das mit der
Gedankenfreiheit ein bisschen zugesetzt. Da kam dann die Sache mit dem Geld
ins Spiel, und wenn schon grenzenlos, dann natürlich unendlich viel Geld.

Da ich nun allerdings nicht die religiösen Gefühle von irgendwelchen
Menschen verletzen möchte, schon gar nicht in einer Regierungserklärung,
sage ich jetzt mal nichts zu "eCommerce" oder "eBusiness". Glauben Sie
doch, an wen oder was sie wollen. Der Glaube soll ja Berge versetzen.

Aber lassen sie uns mit ihren Juristen in Ruhe. Die Geschäftsleute haben
sie leider mitgebracht, diese Jungs die schon im Kauf einer Packung
Gummibärchen eine Vertragshandlung sehen, und die den nun wirklich nicht zu
beanstandenden natürlichen Akt der nicht einmal sexuellen Vermehrung von
Bits mit so garstigen Begriffen wie "Raubkopien" versehen.

Und die jetzt, wo das mit dem Internet gerade weltweit so richtig anfängt
zu flutschen, auf einmal geistiges Eigentum deklarieren wollen. Und laut
aufschreien, wenn sie sich überlegen, daß da geklaut wird, den ganzen Tag
in jedem Computer dieses Planeten. Und da natürlich Diebstahlsperren
einbauen wollen, Filter, Polizisten und Gefängnisse.

Ok, also die Situation ist da. Und wir, wir die Netzbewohner, müssen
reagieren. Einige von uns haben sich ja mehr auf das mit dem unendlichen
Geld konzentriert, andere sich vorsorglich schon mal Weltraumbahnhöfe,
Südseeinseln und Server in Satelliten angemietet um für die kommende
Konfrontation gerüstet zu sein.

Naja, und dann war da noch die Sache mit der Regierung. Das Netz basierte
zwar im wesentlichen nur auf einer gemeinsamen Sprache, die die Computer
miteinander sprechen und einem Adressraum, damit sie sich ansprechen
konnte, bei der Entwicklung der Sprache, der Vergabe von Adressen und der
Schaffung des Namensraumes war allerdings die amerikanische Regierung
involviert. Und irgendwann, als dann auch die Regierungen der anderen
Ländern und die Generation der Krawattis das "WehWehWeh" kannten, wollten
Sie natürlich auch mitreden. Aber das ist eigentlich eine andere und
ziemlich lange Geschichte, auch wenn Sie letztlich zu ICANN als
Firmenkonstruktion führte.

Ich kürze hier und an einer anderen Stelle mal ein bisschen ab.

Zu dem hier: es gibt jetzt also ICANN, es ist eine von der US-Regierung
gegründete Firma nach kalifornischem Recht, sie regeln nicht nur die
weltweite Vergabe von Namen, Nummern und die Implementierung von
Protokollen, sie betreiben auch - fast - die entscheidenden Bestandteile
des zentralistischen und hierarchischen Namensraumes. Fast, weil die
amerikanische Regierung das Kernstück des ganzen, das root-Zone File nicht
wirklich aus der Kontrolle geben möchte.

Zu dem anderen: ICANN wollte zwar regieren, es aber nicht zugeben. Man hat
immer schön fein säuberlich darauf geachtet, "nur" ein technisches Gremium
zu sein, daß "nur" technische Fragen regelt und "nur" die
Vergaberichtlinien für Namen und Nummern erstellt. Geholfen hat es nicht.
Es ist das geschehen, was immer geschieht, wenn man zentralistische Stellen
aufbaut, ob sie jetzt vermeintlich "repräsentativ" die Dinge regeln oder
nicht: die Zeit der Begehrlichkeiten begann.

Und damit kommen wir zurück zu den Juristen, den Krawattis und anderen
Regierungen. Abgesehen davon, daß ICANNs understatement natürlich auch von
Geschäftsinteressen geprägt war und es die eine oder andere unerquickliche
Geschichte über die mafiöse Verbindung zwischen ICANN und dem Registrator
der ersten Stunde - Network Solutions - gibt, wollten die Juristen auf
einmal Eigentumsrechte an Namen deklarieren. Hier und da gab es bereits
Klagen von Markenrechts- gegen Domainnameninhaber.

Die Juristen hatten das Internet entdeckt und es nervte. Gewaltig. Diese
penetrante Habgier, versteckt hinter Gesetzen. Eigentlich hätte die
Regierung jetzt einschreiten sollen. Man hätte ja auch sagen können: warum
denn kein extra Namensraum in dem Markenrecht gilt. Aber die Regierung,
ICANN, hat das nicht gewollt. Weil, sie bestand selbst aus Juristen. Und,
sie trugen Krawatten, die ja bekanntlich die Sauerstuffzufuhr zum Gehirn
einschränken. Und deswegen hatten Sie keine Phantasie und haben das auch
gar nicht verstanden, wozu man so einen öffentlichen Raum braucht, oder was
ein Paralleluniversum ist.

Und weil sie Amerikaner waren, haben sie natürlich amerikanisches
Markenrecht bevorzugt, die WIPO als potentielle Schiedsgerichtsstelle
(gewählt durch den Kläger) bestimmt und damit den Namensraum den anderen
Juristen zum Frass vorgeworfen.

Das nervt nicht nur, das ist ein Verbrechen. Ein Verbrechen an der Sache,
ein Verbrechen am öffentlichen Kulturraum Internet. Was die Juristen
"geistiges Eigentum" nennen ist - das weiß jeder Lateiner - nichts weiter,
als ein Diebstahl am öffentlichen Raum. Und da wir - die Netzbewohner -
jetzt aber keine Lust haben, uns den öffentlichen Raum durch die Diebe
kaputtmachen zu lassen, mussten wir ein bisschen proaktiv tätig werden.

Da geht so jeder seinen Weg und alle sind vernetzt. Durch den öffentlichen
Raum, durch das kollektive Unterbewusstsein und die Göttin des Streits, der
Zwietracht, der Auseinandersetzung, Eris. Die da so zwischen den Zeilen
tobte. Aber bevor Sie das jetzt als Esoterik missverstehen, zurück zu den
Regierungsgeschäften.

Also, nominell bin ich jetzt in der Regierung, und de jure dann irgendwann
im November. Und dann will ich immer noch den öffentlichen Raum frei von
kommerziellen Spielregeln halten, den freien Informationsfluss hüten und
den Bits Ihre Freiräume geben. Wir wollen lauter Datengärten, wo sie
spriessen, gedeihen und sich vermehren können. Soviel also zu den
kulturpolitischen Aspekten der bevorstehenden Regierungstätigkeit.

Dann gibt es natürlich noch ein paar organisatorische Fragen, und da
Regierungen als zentralistische, hierarchische Systeme nur dazu einladen
mißbraucht zu werden und entwicklungshemmend sind, würde ich das Ganze
gerne so dezentral wie möglich ablaufen lassen und dazu muss es transparent
werden. Und die amerikanische Regierung, die sollte sich eigentlich mal
mehr um Ihr Bildungswesen kümmern, anstelle zu versuchen, den Namensraum zu
beherrschen. Gucken Sie sich nur mal das geographische Verständniss von
ICANN an; das spricht Bände.

Die übrige Regierungsarbeit wird voraussichtlich darin bestehen, vernetzte
Paralleluniversen durch das Nebeneinander von verschiedenen Kulturen mit
eigenen Spielregeln zu schaffen. Und dann macht einfach jeder, was er will.
Also, auch den Krawattis ihre eigenen Räume. Da können Sie dann Markenrecht
spielen (global nicht einheitlich, aber egal), sich gegenseitig aufgrund
unterschiedlichen Verständnisses von Meinungsfreiheitsrechten verklagen
oder sich einfach in Wohlgefallen auflösen.

Solange Sie andere Kulturen akzeptieren, ist das alles ok. Ich bemüh mich
ja auch, wirklich. Damit das funktioniert mit dem Nebeneinander.

Also, ich erkläre Ihnen jetzt die Regierung und das heißt, ich erkläre
Ihnen, dass sie in Zukunft bitteschön sich selbst regieren. Machen Sie doch
einfach, was Sie wollen. Mach ich doch auch.